Schöne Rätselhaftigkeit.                                                                                             Christoph Tannert*


Bengalisch illuminierte Orchideen- und Magnolienblüten als Bestandteile einer diabolischen Provokation. Sie sehen aus als habe man sie zu Engelsflügeln gedreht. Sanftes Rouge auf ihrem zarten Leib leuchtet wie Blut, schwarzviolett der Stengel, ein Lidschatten in der Kosmetik des Verführerischen. Dazu der Puder mädchenhaft-koketter Bleichheit, die morbide Perversion zu übertünchen. Farbiges Licht inszeniert Blühbeichten. Geil wuchern die fleischigen Blätter, bar jeder intellektuellen Zucht und vor allem - ohne Hilfe des Computers. Eliška Bartek verläßt sich ganz auf den analogen Charakter der konventionellen Fotografie.


Das gutbürgerliche Gemüt bedarf der Erbauung und sucht sich dafür gern einen entsprechend blumigen Kontext, um sich hernach mit dem wohlfeilen Baldrian Goethe über die drängendsten Daseinsängste hinwegzuhelfen.


Beugen wir uns diesem Ritus.


„Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze, Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.

Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde Stille befruchtender Schoss hold in das Leben entlässt, Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten, Gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt.

 

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Jede Pflanze verkündet dir nun die ew'gen Gesetze,

Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir."


Wie klug, mundgerecht und so allgemein gültig orakelt es da vom Blätterwerk des kanonischen Zauberbaums herunter. Bravo, Herr Geheimrat! So läßt es sich trefflich schwärmen. In der Ausbildung der Blüte sah Goethe das höchste erreichbare Ziel der Pflanze. Er beschreibt die Blüte als das „Vollkommenere" und als „ein Wundergebild". Als Johann Wolfgang Goethe sein Lehrgedicht „Die Metamorphose der Pflanzen" verfaßte (zum erstenmal gedruckt wurde es in Schillers „Musenalmanach" für das Jahr 1799), benutzte er wie in den „Römischen Elegien" das elegische Versmaß. Damit reihte er das Pflanzengedicht ein in die Gruppe seiner klassischen Elegien, obwohl es nicht um Themen wie Liebe, Abschied und Tod geht, sondern um die Darstellung einer Naturlehre. Um so mehr kreisen die Blumenwelten der Eliška Bartek um das Elegische und um das Erotische.


„Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig, strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.", dichtete Goethe, eingebettet ins Feld der Illusion. Eliška Bartek hat in ihrer Blüten-Serie das rationalisierte Projekt der fotografischen Darstellung geradezu respiritualisiert. Der Betrachter tut gut daran, in die Anschauung auch träumerische Imaginationen, Erinnerungen und die Metamorphosen historischer Vor- und aktueller Zeitbilder zu mischen.


Aber wieso Blumen und Blüten? Bleibt angesichts der künstlerisch durchgrubberten Gärten und Gartenarchive und einer wahren Pflanzenschwemme in Ausstellungen, vom Naturkitsch über Blütenstaub und Trockenblumenstrauß bis hin zur Soundinstallation mit Maiglöckchengewisper noch Platz für eine Eigenposition zwischen antiromantischer Neusachlichkeit, atonalen Farbexperimenten und einer warmherzigen, romantischen Sehnsucht?


Eliška Bartek hat eine Wanderzählung in mehreren Kapiteln gestaltet. Blüten und Blütenkörper, Exotik und Erotik, Schönheit und Gefahr korrespondieren in Großfotos, die den Wechselwirkungen von Botanik und erotischem Vokabular Ausdruck verleihen.


Diesbezüglich kann man in biblische Dimensionen zurückgehen, etwa bis zum Hohen Lied Salomos, in dem dieser die Tochter Zions mit den Worten „Meine Schwester, meine liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born" preist. Der Garten ist seitdem Metapher für das Paradies auf Erden geblieben, ein immerblühender Wonneort. Von der blumig verkleideten Vorstellung von der Sexualität der Pflanzen über die „Blumen des Bösen" des Charles Baudelaire und von dort über die architektonisch aufgefaßten fotografischen Pflanzenstudien von Karl Blossfeldt bis zu den luziden, scheinbar von innen beleuchteten sich einerseits sehnenden und dehnenden und doch so eiskalten Calla- und Anturien-Blüten von Robert Mapplethorpe hat die Pflanzenwelt die Künstler in ihren das Erotische suchenden Blickwinkeln immer wieder auf vielfältige Weise neu stimuliert.


Wir stehen vor großformatigen, in Acryldoppelglas gefaßten Lambda-Prints, wo, wie hier, die Optik von den hermetisch gewordenen Wärme-Kälte-Verhältnissen früherer Tafelbilder der Künstlerin zurückschwenkt auf das nur scheinbar nicht Auffällige, sodaß Bilder unvermuteter Raumtiefe und schöner Rätselhaftigkeit entstehen.

Der Quellbereich ihrer aktuellen Fotografien speist sich aus Eliška Barteks Pentax-Kamera, Licht, Farbfiltern und exotischen Blumen, die die Künstlerin sich von einem Berliner Großmarkt holt oder sich in einem kleinen Dörfchen im Tessin, in Pila (oberhalb von Intragna) vom Besitzer eines botanischen Gartens frisch schneiden läßt, mit Strenge ausgesucht nach skulpturalen Kriterien.


Karl Blossfeld, schaut man sich seine Serien „Urformen der Kunst" und „Wundergarten der Natur" von 1930 an, gelang es, Pflanzen so zu fotografieren als seien sie verwandt mit den sich himmelwärts windenden Bauten von Antoni Gaudi. Peter Hutchinson ließ in seinen Fotocollagen, die keinen gemeinsamen Augpunkt haben, erträumte Gärten, imaginierte Landschaften, phantastische Kulturen, aber auch geklonte Naturen entstehen immer wieder fokussiert auf die einzelne Blüte. Auch bei Eligka Bartek entspricht das Prinzip der mit farbigem Licht spielenden Multiperspektive der Irrealität ihrer Sichtweisen. Und dennoch gibt es zu dieser Irrealität eine Entsprechung - die der „Performance" des Gärtners, die der Bewegung, wie Gärtner sich im Garten verhalten, vorausging. So fallen Detailsicht und Panorama, Romantik und Kritik in eins.


Das Künstlerduo Fischli und Weiss, die in ihrem Buch „Findet mich das Glück" mit hart erkämpfter Naivität die Frage „Sind Menschen Blumen?" gestellt, illustriert und mit Kinderblick beantwortet haben, Cor Dera mit seiner neutralisierend konzeptionellen Perspektive, Thomas Struth in seiner unnachahmlichen Art der perfekten Panorama-Komposition, die die Objekte des Sehens koextensiv mit dem eigenen Körper werden lassen oder Michael Wesely mit dem sehr bekannten, durch Mehrfachbelichtungen weichgezeichneten verwelkenden Tulpenstrauß - sie alle Künstler wie Eligka Bartek, die visuelle Erfahrungen im Umgang mit Natur, Pflanzen und Blüten sammelten - sind keine Botaniker und zuallererst der Kunst und dem Sehen verpflichtet.

Es ist die jeweilige ästhetische Sprache, die das Faszinosum der Blüten-Motive in der Kunst formt. Die Natur ist der Kultur immer einen Tag voraus. Die Künstlerseele neigt dazu, aus dem Natürlichen das Komplizierteste zu machen, durchaus bis hin zum neugierig-kaltblütigen Lustmörderischen der Blütenprojektionen von Noboyushi Araki.


Wir Menschen sind bei der Kunstbetrachtung Botschaften ausgesetzt, die ganz zu entschlüsseln wir nicht wirklich fähig sind. Wir gehen ein Bündnis ein mit Erwartungen, denen entsprechen zu können wir uns kaum noch zutrauen. Wir fliehen fast vor der Hypnose, die sich in uns einschleicht, denn wir wissen: wir sind für nichts so erreichbar wie für das Schöne.


Eliška Bartek schenkt uns mit ihren künstlich durchsonnten Höllenblumen ein himmlisches Erlebnis von Entrückung und Melancholie.

 

* Leiter Künstlerhaus Bethanien, Berlin




Tannert, Christoph. 'Schöne Rätselhaftigkeit'. Eliska Bartek. Und abends blüht die Moldau. Eliska Bartek. 1st ed. Berlin: Galerie Michael Schultz, 2004



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