Was ist geheime Fotografie?                                                                                      Gunther Dietrich*


 Im Allgemeinen bekommt man das Geheime nicht zu sehen noch zu hören, denn sonst wäre es ja kein Geheimnis. Was man nicht für sich behalten kann, hat auch nicht das Zeug dazu (von Anbeginn) ein Geheimnis werden zu können.

 

 

In einem Zeitalter wo wir uns erneut daran gewöhnen müssen, und wir tun es schon längst, dass alles was wir in irgendeiner Art manifestieren: ob gesprochen, geschrieben, fotografiert oder sonst wie dokumentiert oder veräußert – jederzeit einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, haben wir uns also vom Geheimen bereits verabschiedet.

 

 

Wir sind inzwischen so transparent in unseren Bewegungen und Gedanken, wie es zu Anbeginn seit der Erfindung der Götter war. Diese hatten von uns schon immer die Fähigkeit zugesprochen bekommen, alles, auch das Unausgesprochene, zu tiefst Verborgene zu Wissen, zu Erkennen, sobald es sich als Gedanken formulierte. Und nichts konnte Verborgen bleiben. In sofern sind für an Gott gläubige Menschen, die heutigen medialen und gesellschaftlichen Zustände bereits längst Allbekanntes. Nach dem Motto : Ich habe nichts zu verbergen, habe es auch nicht vor - und nur dem ist zu misstrauen, der etwas für sich behalten will und im Geheimen plant!

 

 

Als ob es die Gedanken der Aufklärung im 18. Jhdt. und den Tod der Götter bei Nietzsche im 19. Jahrhundert nicht gegeben hätte. Solch eine Wiederbelebung von dem bereits mumifizierten Gottesglauben, kann ja nur Zombies hervorbringen. Von den Toten auferstanden, laufen sie wie in der schlechtesten Kopie eine Hollywood Splatter movies durch die Gegend: Nicht nur wie heutzutage die Gotteskrieger der IS, denn auch die Kreuzzüge der Christen haben mehr Menschen in die Sklaverei und den Tod gebracht als alle Weltkriege zusammen.

 

 

Die AUFKLÄRUNG ist (bekanntlich nach Immanuel Kant,) der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

 

 

Dies hat bis Heute nichts an seiner Wahrheit verloren. Doch es scheint, dass auch dies erneut auf dem Prüfstand der Zeitgeschichte steht. Anders ist es nicht zu erklären, dass wir freiwillig alles von uns preisgeben – Alles mit Allen teilen - und glauben im Gemeinsamen ein kollektives Bewusstsein zu schaffen. Und dass dies uns erst dann zu mündigen Bürgern macht. Dies ist allerdings eine irrige Annahme - (die das Individuum aushebelt ) – und also glaubt nur im Kollektiven sei unsere Freiheit zu manifestieren.

 

 

Ist also das Geheimnis das letzte Refugium, als ein Ort, wo der Mensch sich selbst sein kann? Und muss das Geheime also so verborgen sein, dass es sich höchstens in Träumen oder im Unbewussten abspielt oder: freigelegt wird in tiefen analytischen Sitzungen, spiritistischen oder schamanischen, unter Drogeneinfluss erweiterten Welten. Und zu allerletzt so geheim, dass es selbst vor uns selbst verborgen bleibt?

 

 

Hat das Geheimnis heute noch eine Bedeutung und Tragfähigkeit?

 

 

Bevor ich hier ein paar Auszüge aus dem Essay von Eugen Blume „ Geheime Fotografie“ zitiere, will ich einen kurzen Exkurs machen.

 

 

Seit Anbeginn vor über 190 Jahren hatte das fotografieren etwas geheimnisvolles, alchimistisches, und war ein aus dem übersinnlichen beladenes Medium -

mit Bedeutung und Hoheitsdeutung weit über die Realität hinaus.

Die Welten-flucht in spiritueller Art traf auf eine Technik, oder besser: - es hat diese Technik selbst von ihren Erfindern hervorgebracht – etwas unsichtbares sichtbar zu machen wollen.

 


Diese frühe Fotografien wurden nicht zum Mainstream, sondern nur der Schatten ihrer Selbst: die sogenannte Realität, Reise-, Porträt und Dokumentarfotografien.

Insofern sind wir bis Heute meist dieser Nötigung hobby- fotografischer Zeitzeugnissen ausgesetzt.

 

 

Weitere wesentliche Aspekte der „geheimen Fotografie“ sind die der Geheimdienste und die des Voyeurs. Beides haben entdeckende, auf deckende, Evolution und Revolution fördernde Eigenschaften, auf die ich heute nicht weiter eingehen werden, über die es sich aber lohnt weiter darüber nachzudenken.

 

 

Die geheime Fotografie im digitalen Zeitalter hat im visuell Wahrnehmbaren bislang kaum Bedeutung. Jedes gewöhnliche Foto oder Schnappschuss taugt zum Geheimnisträger. Entweder findet sich die Botschaft im alphanumerischen Quellcodes des Bildes, oder mit Hilfe von Verschlüsselungstechnik wie Wickr, wo in Katzenbilder Bombenbauanleitungen und Ähnliches versteckt werden können. Und diese zerstören sich selbst beim schließen.

Doch um so mächtiger können sie in ihrer Auswirkung sein.

 

 

Und was kann dann eine „Geheime Fotografie“ sein, die dieser Ausstellung und den Werken von Eliska Bartek ihren Namen gab?

 

 

Die Künstlerin Eliška Bartek spricht in diesem Sinne von verborgenen Bildern, die in Schubladen des Geistes ruhen, die unsere Erinnerung nur ab und an zu öffnen versteht. In unserem Innern ist mehr gespeichert als jemals für unseren alltäglichen Weltzusammenhang vonnöten wäre. Das sogenannte Gedächtnis ist nicht frei abrufbar, wie der mathematisch geordnete Speicher eines Computers, sondern ein Erinnerungsraum, der sich den endlosen seelischen Gegebenheiten verpflichtet sieht. In existentiellen Grenzsituationen erscheinen uns längst verlorene Schatten der Vergangenheit unerwartet als klare Bilder als würden wir plötzlich mit einem viel größeren, über uns hinaus weisenden Reich in Verbindung treten.

 

 

Eliška Bartek berichtet von getanzten und gesungenen Bildern, die sie in der Euphorie dieser alchimistischen Welt mit den ungewöhnlichsten Dingen und Stoffen herzustellen vermag: von der Hautcreme bis zu Kupferpulver, Mehl und Nudeln. Die Belichtung verschweißt alles zu einem Malstrom expressiver Lichtgestalten, die der Fantasie keine Grenzen setzen. Psychedelische Bildwelten assoziieren die Betrachter ebenso wie fantastische Landschaften, Blumen, Pflanzen die ins Kosmische reichen.

 

 

Plötzlich sind wir in der Unendlichkeit des Himmels, ehe wir wieder in die Vielfalt der Materie dieses Planeten einkehren, alles berichtet von einer Märchenwelt, einer Poesie, die jeden realen Blick übersteigt. Kreuzformen gemahnen an die uralten Sinnzeichen spiritueller Weltbeziehungen. Jahrtausende alte Gebete steigen aus diesen dynamischen Gebilden herauf als würde ein schon dem Zerfall preisgegebenes Buch geöffnet.

 

 

Diese weichen Formen sind auf anderen Bildern kristallinen Aufragungen gewichen, die wie Felsgesteine in die dunkle Landschaft wachsen. Noch einmal tritt das Antlitz der Mutter aus der Ferne dieser unerforschlichen Weiten heraus wie das berühmte vera icon, das Schweißtuch, was die ewigen Züge des Gottmenschen aufnahm. Die Züge verschwimmen und klären sich, treten hervor und wieder zurück in die Ewigkeit, wo alles Sterbliche sich erhält.

 

 

Das vereinfachte und dennoch beeindruckende Gesicht der nächsten Verwandten scheint nicht der rationalen Welt des „vorsätzlichen“ Erinnerns entsprungen, sondern mehr der Eingebung zu folgen, die nur Meditationen zu erzeugen vermögen. Das Geheimnis der Mutter ist das eigentliche Thema dieser auf Glas geschriebenen Physiognomien, nicht die Ähnlichkeit mit der realen Person, die lange Zeit das eigene Leben begleitete. Was eignet sich besser, das Mutterbildnis zu erinnern als diese fotografische Technik, die sich aus den Geheimnissen chemischer Prozesse ein Bild verschafft, das wirklich und unwirklich zugleich erscheint. Aus dieser Ewigkeit tönt Musik, jene abstrakte Tonfolge, die uns tief berührt.

 

 

Eliška Bartek, selbst in der Musik geübt, schafft in der Technik des Cliché verre Partituren eines strömenden Energiefeldes, das für ein Moment spielbar scheint, noch ehe wir seine Unendlichkeit schon im Bilde zu hören lernen. Eliška Barteks Bilder sind von einer betörenden Sprache, die sich in einen Raum hinein öffnet, der von weit mehr zu zeugen versteht als von der Kunstfertigkeit. Er ist von einer beinahe erschreckenden Realität, deren Zauber uns anzieht wie ein fernes Märchenland.

 

 

Auszug von Eugen Blume

 

 

Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns, dass diese Ausstellung und dieser Abend den Sinn für das Geheime zu einer gemeinsamen Wieder-Entdeckung wird.

 

 

 

*Direktor Photo Edition Berlin

 

Rede zu Eliska Bartek´s Ausstellung Geheime Fotografie in  Berlin- Graz 2015

 


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Text: Was ist geheime Fotografie? Gunther Dietrich
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