Die unerträgliche Leichtigkeit des Maler-Seins*.                                                     Zur meditativen Gestik in Eliška Barteks Bildern.                                           Markus Bruderlin**


„Die Haut ist das Tiefste am Menschen.“

Paul Valéry



Wer sich den Werken von Eliška Bartek nähert, wird bald gewahr, daß diese nicht auf ein ausgeglichenes optisches Erlebnis angelegt sind. Schon gar nicht wollen diese Bilder das Bedürfnis nach dem Wohlgefälligen befriedigen, wiewohl deren Sinnlichkeit lockt. Einander feindlich gesinnte Farben treffen unvermittelt aufeinander und vermischen sich zuweilen zu einem undefinierbaren Farbbrei. Immer wieder bietet sich die Maloberfläche als aufgewühltes, schrundiges Ackerfeld dar, als hätten darauf die wüstesten Malscharmützel stattgefunden. „Die Bilder wirken grob und abweisend, … wecken ein ungutes Gefühl, auch Beklommenheit“[1], beschreibt der Kunsthistoriker Matthias Haldemann seine Eindrücke von den Bildern Eliška Barteks.

Die Künstlerin selbst bekennt die Distanz zu ihren eigenen Arbeiten, wenn sie sagt, daß ihr die Bilder nach ihrer Fertigstellung sofort „fremd“ werden. Und doch: Wer zurücktritt und sich von weitem den in tonigem Kolorit gehaltenen, schwebenden Farbfeldern oder der regelmäßig geschichteten Streifenmalerei aussetzt, vernimmt ein tieferes Bestreben nach Beruhigung und Stimmigkeit. Wie eine sich glättende Wasseroberfläche strebt die aufgewühlte Malfläche zu einer sich homogenisierenden Ebene. Allmählich verebbt der Aufruhr im immer regelmäßiger werdenden Streifenmuster. Erst bei Nahsicht bricht die gestische Spur eines erregten Malaktes wieder hervor. Was Haldemann einen Satz weiter als „emotionale Spannung“ und „suggestive Anziehungskraft“ beschrieben hat, kann auch mit einer anderen Begriffsklammer, die die ambivalente Disposition der Malerei von Eliška Bartek umspannt, gefaßt werden: Gestik und Meditation.

 

 

Impulsive Gestik und meditative Erlebnisfähigkeit

 

„Impulsive Gestik“ und „meditative Erlebnisfähigkeit“, das sind die beiden begrifflichen Momente, die sich für mich bei der längeren Betrachtung der Bilder kristallisieren. Ungeduld und Aggressivität ist die eine Charakteristik dieser Malerei, die auch als eine Art Vitalität erlebt werden kann. Die innere Neigung zu beruhigter Tiefe und Weite bildet den anderen Pol, der uns in der Regelmäßigkeit des Bildmusters entgegentritt.

Inwiefern die erste Eindrucksbeschreibung, die auch kunstwissenschaftlich einen brauchbaren Einstieg in das Werk eines Künstlers darstellt, mit dem eigentlichen Wesen der Kunst von Eliška Bartek korrespondiert, oder sagen wir es direkter, inwiefern die Erscheinung der künstlerischen Idee entspricht, wird sich aber in einer eingehenderen Beschäftigung mit der hier vorliegenden Konzeption von Malerei herausstellen. Wir müssen uns also dem Aufbau und der Machart der Bilder zuwenden, um etwas über die prinzipielle Auffassung und vielleicht auch über die mentalen Hintergründe der Malerei von Eliška Bartek zu erfahren.

Die Beschäftigung mit dem Konzeptionellen und Materiellen ist in diesem Falle um so wichtiger, als die Bilder nicht so sehr auf die visuelle Wirkung angelegt sind, sondern auf eine über das Visuelle hergestellte haptische Wirkung. Die Sichtbarkeit der malerischen Struktur steht nicht primär im Dienste der Vermittlung einer sinnlichen Illusion, als vielmehr derjenigen einer Tastbarkeit. Die visuelle Reizung des Augensinns hat zur Aufgabe, unseren Körpersinn zu aktivieren. Es geht also nicht um die Erzeugung von illusionistischen, dinglosen Farbräumen wie etwa bei Mark Rothko, noch um die immaterielle Auflösung des monochromen Farb-Bildes in reines Licht wie bei bestimmten Vertretern des radical painting, sondern um die haptische Bearbeitung der realen Maloberfläche, die in Schichten auf dem Leinwandträger aufgebracht ist. 

Strenggenommen sind Eliška Bartkes gemalte Bilder keine Bilder, sondern mit Farbe bestrichene Leinwände, die auf Keilrahmen aufgespannt sind. Das Französische besitzt für diesen Sachverhalt eine schärfere begriffliche Trennung, indem es zwischen „tableau“, „image“ und „peinture“ unterscheidet. Erst die Erfindung der Fotographie, so macht der Maler Joseph Marioni uns auf den historischen Umstand aufmerksam, provozierte im Englischen und im Deutschen die Unterscheidung der beiden Begriffe „Bild“ und „Gemälde“. Es sei die Technik des Fotographierens gewesen, die die grundsätzliche Untersuchung der Malerei selbst in Gang gesetzt habe – ein epochales Unternehmen, das die moderne Malerei bis in unsere Tage hinein beschäftigt. Das Foto entlaste die Maler davon, „platonische Erscheinungen“ hervorzubringen und erlaube ihnen, sich dem Eigentlichen, der Erforschung der Struktur der Malerei zu widmen[2].

 

Trotz der Konzentration auf die reale Stofflichkeit hat Eliška Barteks Kunst aber wenig gemein mit der Tradition der analytischen, selbstreferentiellen Malerei, die das Tafelbild auf seine materiellen Bedingungen reduzierte und die in den sechziger Jahren mit Robert Ryman ihren Höhepunkt feierte. Versachlichung widerspricht ihrem künstlerischen Temperament. Insofern bezieht sich die Negation von Bildlichkeit auf die Unterdrückung von Bildillusion und nicht auf die Verhinderung des Geheimnisses. Verantwortlich für die „suggestive Tiefe“ der materiellen Bildoberfläche ist die typische Machart der Arbeiten, bei der die Künstlerin in eigenwilliger Weise zwei gegensätzliche Prozesse miteinander verschränkt: das stufenweise Überdecken verschiedener Schichten und das anschließende Hervorpflügen und Verwischen dieser malerischen Ablagerungen.


 

Schichten, Verwischen, Ritzen – zur Machart der Malerei

 

Wie geht Eliška Bartek an das Bild oder besser an die Leinwand heran? Mit der Wahl des quadratischen Formats löst die Künstlerin zunächst im Sinne der „Reduktion von Unbekannten“ eine „lästige“ Gestaltungsfrage, um sich ganz auf die Malerei jenseits der Form konzentrieren zu können. Nach der Grundierung, die ebenso wie das Bespannen des Keilrahmens mit Leinwand einen wichtigen Bestandteil des künstlerischen Prozesses darstellt, erfolgt das Bestreichen des Bildträgers mit einer mehr oder weniger homogenen, farbigen Grundschicht. Die Künstlerin verwendet dabei ungemischte Farbe direkt aus der Tube. Diesen Vorgang muß man sich mit viel sensitivem Interesse verbunden vorstellen – mit der „Lust und Begierde am Aufstreichen der Farbe“, wie es der Malerkollege Adrian Schiess einmal beschrieben hat[3]. Doch schon bald regt sich angesichts des visuellen Ergebnisses eine Ungeduld. Und meist noch bevor die zähflüssige Ölfarbe getrocknet ist, legt Eliška Bartek eine zweite Malschicht darüber, zuweilen in komplementärer Farbigkeit oder in Weiß oder Schwarz. Die Ungeduld bewirkt, daß sich die beiden Schichten an bestimmten Stellen zu Farbschlieren verwischen. Auf dieser Stufe erfolgt dann gleichsam als haltgebende Strukturierung des unbestimmten, monochromen Grundes eine Gliederung in entweder horizontale Felder oder in ein waagerechtes Streifenmuster.

Im ersten Fall handelt es sich insbesondere um eine Bildserie, die um das Jahr '92 entstanden ist[4]. Dort, wo die Felder aneinanderstoßen, ergeben sich kritische Stellen. Wie die unsauberen Fugen eines Mauerwerks erregen sie die besondere Aufmerksamkeit der Künstlerin. Sie beginnt, Spalten und Ritzen intensiv zu bearbeiten – mit den bloßen Fingern oder mit malerfremden Werkzeugen wie Stemmeisen oder Bürste. Durch dieses Umpflügen gelangt die nicht ganz trockene Unterschicht teilweise wieder ans Tageslicht. Je nach Grad der Trocknung vermischen sich die Lagen an diesen Nahtstellen zu einem undefinierbaren, gräulichen Farbbrei oder verfestigen sich zu einem unruhigen, bunten Gewebe von reinen Farben, das sich erst auf Fernsicht impressionistisch zu einem einheitlichen Grauton vermischt. Diese Gestik der Bearbeitung folgt dem spontanen Zugriff der Malerhand, geleitet von momentanen Emotionen und Stimmungen. Darin kann das Aktionistische der Malerei von Eliška Bartek erkannt werden. Konzeptionell reflektiert dieser Vorgang aber auch die „Idee des sich selbst malenden Bildes“, wie es Gerhard Richter in die Geschichte der modernen Malerei eingeführt hat. „Das Bild malt sich selbst, ich schmiere nur die Farbe drauf“, bekennt Eliška Bartek. Sie ist sich dabei des Widerspruchs bewußt zwischen der psychischen Anteilnahme, über die sich das Subjekt in die Malerei einbringt, und dem Konzeptionellen, das auf anonyme Verfahrensfragen zurückgreift. In dieser Polarität begegnen wir unserer anfangs aufgestellten Dualität von Gestik und Meditation wieder.

Neben diesen malerischen Aspekten der nachträglichen Behandlung, die aus dem mechanischen Verweben der Malschichten und dem Verwischen der Grenzen der Farbfelder hervorgeht, spielt als zweites die „graphische“ Bearbeitung der „abgedeckten“ Malerei eine wichtige Rolle. Wo das Schichtgefüge gefestigter ist, wirkt sich die Manipulation mit dem harten Werkzeug als eine Art „Ritzen“ aus. Das griechische 'graphein' bedeutet neben 'schreiben' ja auch 'ritzen'. Dabei kann die farbige Grundschicht als scharf geschnittene Spur durch den gleichsam chirurgisch vorgenommenen Einschnitt hervortreten. In einer Arbeit von 1992 blitzt der glühend-rote Untergrund unter einer dunkelgrauen Farbdecke hervor wie das Magma unter einer erkalteten Ascheschicht. Auch hier ist man versucht, den an sich mechanischen Akt mit emotionalen Energien gekoppelt zu sehen und die skriptualen Linien und Spuren als eine Art Psychographik zu lesen. 

In den letzten Jahren hat Eliška Bartek eine zusätzliche Technik entdeckt, die die haptische Brisanz der malerischen Oberfläche noch verschärft. Sie „reißt“ die halbeingetrocknete, harzige Malschicht mit einer Gummiwalze, wie sie im graphischen Gewerbe benutzt wird, auf. Dabei entsteht eine schrundige, scharfkörnige Haut, durch die die darunterliegende Farbschicht durchblitzt.

 

 

Malerei als Haut und Hülle

 

Eliška Barteks aktionistischer, graphischer und zuweilen auch bildhauerischer Bearbeitung der aufgetragenen Malschichten eignet, wie eingangs erwähnt, immer etwas Aggressives an und kann in diesem Sinne auch als Verletzung aufgefaßt werden. An dieser Stelle stoßen wir auf eine auch kunstwissenschaftlich immer wieder thematisierte Analogie von haptischer Malerei und Haut, die den Malakt folglich als eine Art „Tätowierung“ ausweist. Das Tafelbild wird dabei zum dinglichen Äquivalent des Körpers oder des Leibes[5]. 

Tatsächlich bestätigt die Künstlerin diese körperliche Auffassung von Malerei. Sie bezeichnet den Malvorgang als eine spezifische Art des Handelns am Bild, nämlich als ein stufenweises, sprich schichtweises „Anziehen“ des Bildträgers; „aaleggä“ tönt es im mährisch gebrochenen Schweizerdeutsch. Die körperlich-textile Behandlung äußert sich zunächst im Bespannen des Keilrahmens, der wie ein Skelett das Tafelbild stützt. Die Grundierung bildet die „zweite Haut“, auf der dann die weiteren „Hüllen aufgezogen“ werden. Der textile Charakter kommt aber nicht nur im Aufbau, sondern auch in der Erscheinungsweise der Streifenmalerei zum Tragen, die oft an Stoffmuster erinnert. Eliška Bartek bestätigt diesen Eindruck als durchaus kalkuliert, und sie greift damit unbewußt auf eine ursprüngliche Technik des Sicheinrichtens des Menschen in der Welt zurück. Der Architekt und Gestalter Gottfried Semper hat in seiner fälschlich als „materialistisch“ apostrophierten Kunsttheorie um 1889 die ästhetischen Erzeugnisse unserer Kultur aus der Funktion des Bekleidens abgeleitet. Die dekorativen Formen des griechischen Tempels lassen sich auf das ursprüngliche Schutzbedürfnis des Bekleidens und auf textile Techniken zurückführen. Schließlich sei das Ornament mit seinem Rhythmus und Rapport aus der Beobachtung des regelmäßigen Musters, das durch einen zufällig andersfarbigen Strohhalm beim Flechten entstanden sei, hervorgegangen.

Eliška Barteks Nähe zu solchen ursprünglichen und atavistischen Funktionen des Gestaltens bestätigt sich auch durch ihre Nebenbeschäftigung als Schmuckmacherin. Vielleicht ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, daß diese in unseren Längen etwas misstrauisch beäugte Kombination von Kunst und Kunsthandwerk in der tschechischen Kunst eine lange und „tiefe“ Tradition hat. Aus dieser händischen, gleichzeitig harten und sensiblen Tätigkeit läßt sich zu einem Teil die zweite Phase des malerischen Prozesses verstehen: die mechanische Bearbeitung der Farbschichten. Was im Schmuckhandwerk als Hämmern, Ziselieren und Ritzen ausgewiesen ist, vollzieht sich im Medium Malerei als Tätowieren, wobei die Tätowierung wiederum die ursprünglichste Form des Schmückens ist – das Schmücken des eigenen Leibes[6].

 

Gegenüber dem „Anschmiegenden“ des Schmückens geschieht Eliška Barteks „Handeln an der Bildhaut“ aus einem aktionistisch-gestischen und zuweilen aggressiven Impuls heraus und wird dem Betrachter unmittelbar als eine Art Verletzung gegenwärtig. Das ist besonders in den neueren, hier abgebildeten Streifenbildern nachzuvollziehen, in denen die gleichmäßige Musterung eher hinter einer zerfahrenen Gestik der einzelnen Streifen zurücktritt.

 

 

Nessus' Hemd und das Dilemma der Autonomie

 

Insofern mit der Malhaut die eigene Körperoberfläche gemeint ist, gerät die Bildleinwand zum Nessushemd[7]. Aus dieser Perspektive können wir den künstlerischen Akt als eine Projektion eigener Spannungszustände, ja als Abarbeiten eigener Schmerzerfahrungen begreifen. Die Malerei wird dabei zum „ausgezogenen Nessushemd“, das als autonome Fläche über den Keilrahmen gespannt ist und nicht mehr auf der eigenen Seele brennt. Es soll sich lediglich unter den Blicken der Betrachter entzünden. Wenn es auch nicht mehr die eigenen Haut ist, so behält sie ihre Verletzlichkeit bei. Den Akt des Auftragens der Farbe formt Eliška Bartek immer auch als einen heilenden und einen schützenden Vorgang.

Das unmittelbar Tätliche taucht dann auf, wenn die Künstlerin hernach die Bildoberfläche mit harten Werkzeugen zu „malträtieren“ beginnt. In der zurückbleibenden Vernarbung wird immer wieder etwas von jener schmerzlichen Spaltung gegenwärtig, die durch die Isolierung der Trägerhaut vom eigenen Ich und deren Isolierung auf dem Keilrahmen entsteht. Schlußendlich verrät das autonome Tafelbild mit diesen „Verletzungen“ die selbst durch die Kunst nicht tilgbare Sehnsucht nach Authentizität und Einklang mit der Welt. Das Kunstwerk wird so zu einem ambivalenten Projektionsfeld, das die Einheit, aber gleichzeitig auch ihr Fehlen anzeigt und damit in einer Bewegung gegen sich selbst zu dem wird, was es ist: zum Antagonisten seiner selbst.

Die Äußerungen Eliška Barteks belegen, daß wir mit dieser Interpretation der Werke nicht überstrapazieren. Ich habe die psychophysische Funktion deshalb herausgestellt, um diese körperliche Malerei von der rationalen Analytik, wie sie moderne, monochrome Malerei seit den sechziger Jahren beherrscht, abzuheben. Eliška Barteks Schwarz-Weiß-Bilder wie auch die monochromen Farbbilder lassen sich nicht auf die bildverneinende „Nullfläche“ und den ästhetischen Nihilismus vom ewigen, „letzten Bild“ (Ad Reinhardt) reduzieren. Obwohl dies schon durch die angesprochenen Ambivalenz von „Gestik und Meditation“ und durch die Verkörperlichung der Malerei als sensitive Haut – die Künstlerin spricht zuweilen von einem „Nervenkostüm“ - klargeworden ist, sei an dieser Stelle Eliška Barteks künstlerische Konzeption in einem größeren kunstgeschichtlichen Zusammenhang gesehen. Wir werfen einen Blick auf die Tradition der Abstraktion, die die reflexive Beschäftigung mit dem Phänomen „Tafelbild“ und dessen Rückführung auf die materiellen Bedingungen zu einem Hauptaspekt der Moderne erhoben hat.


 

Monochrome Malerei und die Paradoxie der Oberfläche


Der Ansatz für diese Entwicklung ist ausgerechnet einer in den achtziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts formulierten Äußerung des Nabi-Künstlers Maurice Denis zu entnehmen: „Man erinnere dich daran, daß ein Bild, bevor es ein Schlachtroß, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist, seinem Wesen nach eine ebene Fläche ist, bedeckt mit Farbe einer bestimmten Anordnung.“ Als Ziel dieser „ontologischen Reduktion“ sah man das Identwerden aller am Tafelbild beteiligten Elemente. So ging es in einem ersten Schritt um das Ausglätten des illusionistischen Tiefenraumes in die Ebene des Bildes, zu dessen Realisierung der Kubismus wesentliche Impulse beitrug. Die konkrete Kunst bemühte sich dann um die Identifizierung der bildnerischen Mittel von Farbe und Form mit der Realität der Bildfläche. „La Peinture concrète est non abstraite“, verkündete van Doesburg in den dreißiger Jahren, „parce que rien n'est plus concrète, plus reél qu'une ligne, qu'une couleur, qu'une surface …“[8]. In den fünfziger Jahren wurden die Identität von Fläche und Farbe erreicht: „Alles ist Farbe und Fläche, und dies alles muß miteinander verschmelzen“, konstatierte Kenneth Noland. Die Voraussetzung dafür war die Elimination der Form. Mit Frank Stellas Angleichung der Binnenstruktur an die Bildkontur sollten die malerisch-magischen und individuellen Tiefenelemente an die glatte, sachliche Oberfläche geschwemmt werden, damit dann mit Donald Judd das Tafelbild ganz im „One-Thing“, dem gleichmäßigen, teillosen Einheitsding, in dem Idee und Erscheinung ident werden, aufgehen konnte.

Was in diesem linearen Prozeß des Buchstäblichwerdens vor sich ging, war aber weniger eine autonome Übereinstimmung aller Teile im Ganzen, als vielmehr die sukzessive Elimination dessen, was die Malerei in ihrem Wesen ausmachte. Identität wurde zur sinnbetörenden Tautologisierung des Vorhandenen und Sichtbaren und die Malerei zum glatten, klar überschaubaren Objekt übersteigert. An dieser Stelle machte Gerhard Richter seine Kritik an der Tautologie fest: Ohne Bedeutungshaftes verkomme monochrome Malerei zu einem „blöden Anstrich“, meinte der deutsche Maler.

Die Frage, welche geheimen Kräfte zwischen materiellem Träger und malerischer Fläche, zwischen der faßbaren Welt der Dinge und dem sichtbaren Feld der Oberfläche eines Bildes sich immer wieder entzünden, war aber noch lange nicht erschöpft. In periodischen Abständen tauchte immer erneut die monochrome, in allen Falten und Tiefensuggestionen ausgeglättete Nullfläche auf, ohne daß die Malerei an ihr eigentliches Ende, wie es Alexander Rodtschenko erstmals in den dreißiger Jahren verkündet hatte, gelangte[9]. Zu den wohl spannendsten Sondierungen in den Schichten der Malerei gehört Robert Rymans analytisch-ästhetische Askese, die gerade in der äußersten Beschränkung ein reiches und schillerndes Spektrum künstlerischer Erfahrungsmöglichkeiten versinnlicht. 

Ein wichtiger Grund, warum dieser Kontinent der totalen Autonomie und Identität niemals erreicht werden kann, liegt in einem grundsätzlichen Widerspruch, der unser Sein in der Welt und unser Bewußtsein über diese prägt. Die Wissenschaft hat sich ihm am nächsten auf der Ebene der Wahrnehmungstheorie genähert: Es ist die Aporie von der Wahrnehmung der Welt als komplexes Konvolut von (Ober-)Flächen, die wir mit dem Auge ständig von der Dingwelt als Bilder abschälen, abstrahieren und dem Wissen von der Körperlichkeit, die unsichtbar hinter diesen Hüllen wohnt. Es ist ein existentieller Riß, der uns so betrifft, da wir die Welt ständig sehend-schälend wahrnehmen und gleichzeitig selbst Bewohner eines Körpers sind. Im Bereich der Psychologie existiert dafür der Begriff der Subjekt-Objekt-Spaltung, und auf der Ebene der Sinne beschreibt er den Unterschied zwischen der Sichtbarkeit und der Tastbarkeit, zwischen Augensinn und Körpersinn.

 

Als ästhetische Äquivalenz zu diesem zwar selbstverständlich gewordenen, aber doch letztendlich unergründbaren Zustand erweist sich überraschend nicht die Skulptur, sondern die Malerei in ihrem ungelösten Aneinander von bildhafter Imagination und dinglicher Faktizität. Als vermittelnde Kategorie zwischen beiden ontologisch getrennten Sphären des Zwei- und Dreidimensionalen hat der menschliche Geist den Begriff der „Oberfläche“ erfunden, die weder das eine noch das andere und doch beides gleichzeitig ist. Die prominenteste und vertrauteste Oberfläche ist die Haut, ein komplexes Organ, das gleichzeitig als Behältnis, als Grenze und als Schauplatz fungiert. 

 

 

Postminimalistische Malerei und die Vielschichtigkeit der Oberfläche

 

Seit diesem Mißlingen der vollständigen Rationalisierung des Tafelbildes und seit dem Scheitern der Gleichschaltung von Idee und Erscheinung hat sich die postminimalistische Malerei in neuer Weise mit dem vielschichtigen Phänomen der Oberfläche zu beschäftigen. Die ästhetische Praxis der neueren abstrakten Malerei splittert sich dabei in ein weites Feld von verschiedensten Ansätzen auf, von denen wir hier nur einige erwähnen wollen.

Die vermeintliche Versachlichung der Malerei zum flachen Anstrich führte schon in den siebziger Jahren zu einer Identifizierung mit der Wand. Die Übersteigerung des Tafelbildes zum environmental painting eines Daniel Buren oder die konzeptionelle Reaktivierung der Kategorie des Dekors wie etwa bei Gerhard Merz waren die Konsequenz aus der unlösbaren Paradoxie der Bildoberfläche.

Diejenigen, die beim Tafelbild blieben, wie etwa die Vertreter des sogenannten radical painting, versuchten, den Teufelskreis der tautologischen Selbstreferenz und das Dogma des „letzten Bildes“ (Ad Reinhardt) entweder durch Transzendieren, durchaus in Erbschaft von Malewitschs Apologie des „befreites Nichts“, durch Radikalisierung der Stofflichkeit der Farbe oder auch durch Thematisierung des Rezeptionsstandpunktes zu überwinden. Die „radikale Malerei“ weise „über den kunstimmanenten Überlegungskreis hinaus, indem sie Handeln und Empfinden beim schöpferischen Akt und bei der Rezeption stark betont“, meinte Amine Haase in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Themenband der Zeitschrift „Kunstforum“[10]. Malerei als eine Art „Handlungsform“ wird speziell von dem Kölner Künstler Günter Umberg praktiziert, während sein langjähriger Diskussionspartner Joseph Marioni die dingliche Stofflichkeit der Farbe und ihr Fließen auf der Fläche wie ein Verhaltensforscher beobachtet und dabei erlebbaren Wahrnehmungs-intensitäten zu einer Art sensualistischen Sinnerfahrung transzendiert.

Auch die jüngeren abstrakten Amerikaner knüpfen an verfahrensorientierte Methoden der Bilderzeugung an: John Zinsser etwa setzt Hilfsmittel wie Bürsten, Stäbe, Fensterschaber ein, um die Distanz zwischen sich und dem Bild zu wahren[11]. Doch die Malerei der Jungen ist eher „intuitiv“ als vorsätzlich analytisch. Sie läßt dem Zufall einen Spielraum und tendiert dazu, das Dekonstruktivistische der Vätergeneration gegen die Unmittelbarkeit der Erfahrung einzutauschen. Dort, wo Referenzen zu Außerkünstlerischem auftreten, beziehen sich ihre „Oberflächen“ weniger auf Transzendentales, als auf den Alltag. Adrian Schiess sinniert im Zusammenhang mit seinen mit Autolack gefirnißten Tafeln gerne über die „Lust und Begierde am Aufstreichen von Farbe“ und über die perfekte, glatte Oberfläche, in der sich die Flüchtigkeit des Alltags filmisch spiegelt. Bernard Frieze findet im Kulinarischen der französischen Tradition vergessene Ansatzpunkte. In speziellen Wannen verrührt er gemischte Farbemulsionen zu einem dünnen Farbbrei mit überraschenden optischen Effekten, läßt diesen eintrocknen, um ihn dann wie eine Haut abzuziehen und auf die Leinwand aufzubringen.

 

Klaustrophobie und kosmische Geborgenheit

 

Auch wenn vielleicht die Zeit noch nicht ganz reif ist, Eliška Barteks künstlerische Konzeption in diesem internationalen Umfeld aktueller Positionen abstrakter Malerei zu verorten, so zeigt ihre spezifische Behandlung der „Malerei als Haut“ und die mentale wie auch psychische Ausformulierung der Kunst als Selbstbegegnung den Weg zu einem eigenständigen Werkschaffen auf.

Einen Aspekt dürfen wir nicht vergessen, der für eine solche Positionierung vielleicht nicht ausschlaggebend, wohl aber erhellend für das Verständnis ist. Wer die Künstlerin kennt, weiß, daß ihre Kunst sehr stark mit ihrer Biographie verbunden ist. Als Kunsthistoriker muß man zwar immer skeptisch sein gegenüber Biographismen, doch in manchen Fällen mag die Erwähnung besonderer Lebenserfahrungen wichtig sein für das Verständnis der existentiellen Grundschicht einer Kunst. Eliška Bartek ist wie viele ihrer gleichaltrigen Landsleute verbunden mit dem politischen Schicksal der ehemaligen Tschechoslowakei. 1972, vier Jahre nach dem Prager Frühling, flüchtete sie in die damalige BRD. Wie viele Emigranten gelang ihr die Flucht in einem Fluchtauto, eingezwängt in einem kaum schubladengroßen Fach unter dem Hintersitz. Von Dunkelheit umfangen mußte sie stundenlang in dieser bedrängenden Situation ausharren, ständig bedroht, entdeckt zu werden. Platzangst wechselte mit der Furcht, daß das schützende Verlies plötzlich von den falschen Leuten geöffnet wurde. Wenn eingangs erwähnt wurde, daß Eliška Bartekes Bilder nicht so sehr auf die visuelle Wirkung angelegt sind, als vielmehr auf eine über das Visuelle hergestellte Haptik, so könnte man in dieser Bildauffassung Äquivalente erkennen zu der existentiellen Erfahrung von klaustrophobischer Bedrängung und Dunkelheit. Ein Hinweis auf die Dominanz der Tastbarkeit mag auch in der Ateliersituation und in der problemlosen, ja bevorzugten Verwendung von Kunstlicht beim Malen gesehen werden. Als Besucher dauert es eine Weile, bis man sich an das gleißende Scheinwerferlicht, das auf die üppige, gefirnißte Leinwand prallt, gewöhnt hat. Während Maler normalerweise zum Tageslicht streben, liebt diese Künstlerin die ebenerdige, dunkle Klause in ihrem Bauernhaus im luzernischen Neuenkirch. Hier, wo früher eine Käserei untergebracht war und wo die „Mutterwärme“ spürbar ist, fühlt sie sich wohl. Hinzu kommt, daß Eliška Bartek am liebsten nachts malt, wenn es draußen dunkel ist und die Welt sich unendlich weitet und gleichzeitig Dinge umfangend berührt. Um die Jahrtausendwende hat sich der Mathematiker Hermann Minkowski mit der stofflichen Tastbarkeit des Nachtraumes beschäftigt: Der Nachtraum „berührt mich unmittelbar, er hüllt mich ein … er dringt in mich ein und durchdringt mich ganz und gar … , so daß man fast sagen könnte, daß ich durchlässig bin für die Dunkelheit, während ich es für das Licht nicht bin.“[12]

 

Wenn auch diese Ambivalenz zwischen klaustrophobischer Bedrängung und befreiender Auflösung in einem nächtlichen, kosmischen Kontinuum in den Bildern nicht unmittelbar nachvollziehbar ist, so läßt sich damit doch etwas von der Befindlichkeit fassen, aus der Eliška Bartek immer wieder künstlerische Energien schöpft. Schließlich gewinnt man mit dem empathischen Dualismus von Klaustrophobie und Geborgenheit ein körperlich-räumliches Äquivalent zur psychischen Konstitution, der wir uns oben durch das Begriffspaar „Gestik und Meditation“ zu nähern versuchten. Schließlich möchte ich nicht auf den Hinweis verzichten, daß darin zwei Momente künstlerischer Grundverfassung angesprochen werden, die schon im kulturgeschichtlichen Theoriegebäude ihre Thematisierung fanden, nämlich 1908 in Wilhelm Worringers „Abstraktion und Einfühlung“.



Brüderlin, Markus. 'Die unerträgliche Leichtigkeit des Maler-Seins

Zur meditativen Gestik in Eliška Barteks Bildern'. Kat. Ausst. Im Zwischenraum: Eliska Bartek, Kunsthaus Zug, 1995

 

Anmerkungen:


* Frei nach Milan Kundera


** Direktor Kunstmuseum Wolfsburg.


1 Matthias Haldemann: „Die Spur verwischen – Zu den neuen Bildern von Eliška Bartek., (Katalog) The Huberte Goote Gallery, Zug 1993, o.P.

 

2 Vgl. Marioni: „Malerei jenseits von Narrativität“, in: Kunstforum int. Bd. 88, 1987.


3 Schiess: „It's only Rock 'n' Roll but I like it“, in: „Abstrakte Malerei zwischen Analyse und Synthese“, Hrsg. Galerie zunächst St. Stephan, Klagenfurt 1992, S.75.


4 Vgl. Katalog Zug, a.a.O.


5 Solche Analogien haben sich in der Wissenschaftssprache verschiedentlichst niedergeschlagen, etwa in Theodor Hetzers Unterscheidung von Bildkörper und Bildleib. Hetzer verstand unter „Bildleib“ die Herausbildung des Tafelbildes im 16. Jahrhundert als einen selbstständigen Organismus, der autonomen Lebensprinzipien gehorcht.


6 Schon Veit Loers hat auf diesen Aspekt des Tätowierens im Katalog von Eliška Bartek von 1990 hingewiesen. (vgl. Katalog Galerie Hannah Feldmann, Bern)


7 Nessushemd: Nach der griechischen Mythologie bekam Herakles von seiner Gattin Deianeira ein wunderschönes Gewand, das diese von dem rachsüchtigen Kentauren Nessus mit dem Versprechen, es berge einen Liebeszauber, empfangen hatte. Beim Auftreffen des ersten Sonnenstrahls entflammte es sich aber zu einem fleichzerfressenden Hemd, aus dessen Glut der Held zum unsterblichen Halbgott in den Olymp erlöst wurde.


8 Zit. n. Seuphor, L'Art Abstrait. Les Origines, les Maîtres, Paris 1949. 


9„Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht und habe drei Bilder ausgestellt: ein rotes, ein blaues, und ein gelbes und dies mit der Feststellung: Alles ist zu Ende. … Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellungen mehr geben.“ A. Rodtschenko, Arbeit mit Majakowski, 1939, in: „Von der Malerei zum Design“ (Kat.) Galerie Gmurzynska, Köln 1981, S.191. 


10 Vgl.: „Malerei – radikale Malerei“, in: Kunstforum int., Bd. 88, 1987, S.80.


11Vgl. John Zinsser: „Vom bewußten Umgang mit dem Material“, in: „Abstrakte Malerei zwischen Analyse und Synthese“, a.a.O., S.136. 


12 Otto Friedrich Bollnow: „Mensch und Raum“, Mainz 1963, S.226.


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